Das Aschenputtel-revier

Es gibt auch moderne Märchen: Unsere Entdeckung des dänischen Limfjords als Meerforellenrevier ist ein solches. Doch lest selbst …

Vielleicht ist es doch keine so gute Idee, den Limfjord zu besuchen, um Meerforellen zu fangen. Von anderen Küstenanglern höre ich, wenn ich von meinem Vorhaben erzähle, dass dieser Fjord ein sehr schwieriges Revier sein soll. Unübersichtlich, weitläufig, besonders – das sind die Aussagen. Der Tourismusverband Nordjütland lud mich ziemlich spontan ein, mir noch im ersten Corona-Herbst selbst einen Eindruck von diesem Revier zu verschaffen. Ein paar Tage Ende Oktober sollen es werden – zu zweit wollen wir unsere Zelte auf der Insel Mors aufschlagen – ein etwa 40 Kilometer langes Eiland an der Westseite des Fjords. Der Limfjord überbrückt immerhin eine Distanz von 130 Kilometern und verbindet die Ostsee mit der Nordsee. Teilweise, vor allem im Osten, ist er nur um tausend Meter breit, Richtung Westen sind es schonmal über 20 Kilometer freie Wasserfläche. Zahlreiche Inseln und Inselchen liegen verstreut im Fjord. Ich kenne zwar die Region – die Häfen Hanstholm und Thyborøn sind bekannte Startplätze für Touren auf die Nordsee – einige legendäre kleine Flüsse wie die Karup Au mit ihrem unglaublichen Meerforellen-Aufstieg strömen in den Limfjord. Aber so richtig kann ich mir nichts Genaues unter dem Fjord vorstellen. Ich erwarte viel flaches Wasser und auch flache Inseln und Küsten. Nichts wirklich Spannendes. Und dann kommt alles ganz anders …

Traumrevier Limfjord.

Der Mann weiß Bescheid
Jesper Appel Jensen erwartet uns bereits an seinem Ferienhaus. Hier sollen Jonas und ich fünf Tage verbringen, um den Geheimnissen des Limfjords auf die Spur zu kommen. Bei unserer Anreise sehen wir nicht viel – tief hängende Regenwolken tauchen alles in düsteres Grau. Jesper ist uns auf Anhieb sympathisch: Angler, Jäger, Taucher, Wildnis-Führer und so weiter. Auf einer Karte zeigt er die besten Spots und gibt den Farbtipp für die Köder: Silber muss es sein. Denn der Fjord sei voller Sprotten, die Hauptbeute der Meerforellen. Er erzählt uns noch zahlreiche Storys zum Limfjord und seinen Inseln. Von der über 60 Meter hohen Steilküste Hanklit und anderen spannenden Plätzen. Also anscheinend nix mit flachen Stränden und seichtem Wasser? Hier gibt’s sogar riesige Hummer, die Jesper und seine Tauchgäste vom Boot aus fangen – lediglich mit Schnorchel ausgerüstet. Und die Meerforellen? Jesper lächelt. „Geht mal fischen, dann werdet ihr es sehen …“, muntert er uns auf. Wird das Aschenputtel noch zur Fjord-Prinzessin? Wir sind jedenfalls gespannt wie eine Spinnrute im Drill und als Jesper uns noch auf seinem Smartphone Bilder von sehr guten Forellen zeigt, ist es um uns geschehen. Klamotten ausladen, Ruten auftüddeln und ab ans Wasser!

Im Norden Jütlands: der Limfjord.

Der erste Platz
Wir fahren ein paar Minuten nach Norden zur schmalen Spitze der Insel. Die Ostseite ist von einer seltsam geformten kleinen Steilküste geprägt: Feggeklit – ein geschichtsträchtiger Ort –hier soll Hamlet einst seinen Stiefvater Fegge erschlagen haben. Auf dieser Ostseite geht’s tatsächlich eher sanft hinein, aber der Untergrund sieht ober-klasse aus: steinig mit kleinen Tangfeldern. Wir angeln nicht lange bis zur Dämmerung und Jonas kann schon zwei harte Bisse für sich reklamieren. Wow! Das ging ja schnell mit den ersten Kontakten. Auf einer Schafwiese gleich am Wasser wachsen Wiesenchampignons. Prima! Die sind oberlecker und werden heute unser Abendbrot bereichern. Also haben wir doch noch was gefangen!

Klasse Fjordforelle von Jonas!

Echt steil!
Der lokale Touristenverband hat ganze Arbeit geleistet und einen web-basierten Angelführer für den gesamten Limfjord erstellt. Zahlreiche Angelplätze werden detailliert beschrieben. Und das Beste: Die Internetseite ist mit Google Maps kombiniert. Ich tippe also auf den Angelplatz, den ich ansteuern möchte, klicke Start und schon beginnt die Routenführung bis zum Parkplatz. Das funktioniert für alle Plätze, die wir in diesen Tagen ansteuern möchten, tadellos. Daumen ganz hoch – das ist wirklich enorm praktisch, einfach zu benutzen und super genau. Die sehr gute dänische Netzabdeckung (Hallo, Deutschland!) sorgt für eine unterbrechungslose Führung bis zum Angelplatz. Selbst ein absoluter Limfjord-Neuling kann sich so auf Anhieb bestens zurechtfinden – stark.

Wunderschöne Angelplätze reihen sich auf der Insel Mors aneinander.

Auf diese Weise steuern wir einen der spektakulärsten Angelplätze der Insel an: die gewaltige Steilküste von Hanklit. 61 Meter hoch ragt die berühmte Steilküste in den dänischen Himmel. Gebildet wird sie zu großem Teil von Moler, einem weichen, tonartigen Material, das in sich Spuren aus 55 Millionen Jahren Erdgeschichte trägt. Deswegen ist besonders dieser Strand ein Paradies für Sammler von Versteinerungen. Das Wasser vor der Steilküste wird rasch tief – hier ist sogar Uferangeln in Gummistiefeln möglich. Die Strecke erstreckt sich viele Kilometer nach Norden bis zu den nächsten verzeichneten Angelplätzen und einige nach Süden. Hanklit ist ein einziger guter Meerforellenplatz – und zwar auf seiner gesamten Strecke! So etwas habe ich selbst im Meerforellen-Paradies Dänemark noch nirgends entdeckt. Wir haben einige Fischkontakte und bald ruft Jonas laut: Er hat eine starke Forelle im Drill. Ich bugsiere das Energiebündel nach einigen vergeblichen Versuchen in den Kescher. Ein strammer, fetter Fisch mit einem feinen Goldton über den kompletten Körper. Das muss eine dieser legendären Fjordforellen sein, die das gesamte Jahr über diesen Goldton tragen und nicht nur zur Herbstzeit. Ein Wahnsinnsfisch, wir sind schwer beeindruckt. Beim Ausnahmen stellt Jonas fest, dass die Forelle Feinschmeckerin war: Der Magen ist voller großer Nordseegarnelen.

Feiste Fjordforelle.

Klasse Küste
Die nächsten Tage steuern wir noch einige Plätze an, vornehmlich im Nordteil der Insel. Skærbæk Bjerge, Skranderup, Skibstæd Strand (hier fängt Jonas noch eine 54er „Gold“-Forelle), Gullerup Strand und Hulhøjen. Überall haben wir Fischkontakt oder fangen Forellen. Eine unglaubliche Bilanz. Und jeden Platz finden wir auf Anhieb dank der tollen Limfjord-Webseite.

Wir sind vom Limfjord und der Insel Mors schwer begeistert und schütteln immer wieder verwundert die Köpfe: Warum dieses Hammer-Revier unter deutschen Meerforellenanglern so unbekannt ist, bleibt uns ein Rätsel. Für uns steht fest: Hier müssen wir sofort wieder hin, wenn es die Corona-Lage erlaubt.

Im Limfjord gibt es leckere Muscheln und riesige Hummer! Diese Schere fanden wir am Strand.

Die Insel Mors
Die 367 Quadratkilometer große Insel im Limfjord ist nicht nur für einen Meerforellentrip ideal, sondern auch für einen kombinierten Familien-Angelurlaub. Während die einen die Ruten schwingen, suchen die anderen am Strand nach Fossilien und besonderen Steinen. Ich habe noch nirgends eine solche Vielzahl an unterschiedlichen Steinen, Schneckenhäusern und Muscheln gefunden wie dort auf der Insel Mors. Und ich habe schon sehr, sehr viele Strände weltweit besucht. Der Haupt- und Hafenort Nykøbing auf der Ostseite ist gemütlich mit einer langen Hafenpromenade und einer entspannten Fußgängerzone, in der sich viele kleine Geschäfte, Cafés und Restaurants aneinanderreihen.
Dänische Angelerlaubnis: www.fisketegn.dk
Kontakt zu Jesper Jensen: www.facebook.com/jesperappel.jensen
Ich habe auch einen Film über unsere Tour gemacht: Hier gibt’s den zu sehen.

Schon über 10.000 Zuschauer: mein Limfjord-Film.